Wie kommt man denn auf so etwas? Richter am Arbeitsgericht? Eigentlich war es ein „Kollateralschaden“: als ich im Jahre 2000 als Betriebsratsvorsitzender in die Freistellung ging, sagte mir mein Amtsvorgänger: „Schau, dass Du Richter wirst am Arbeitsgericht in Coburg – das ist interessant!“
„Wie wird man das denn?“, war meine Gegenfrage.
„Naja, schau, dass die ötv Dich vorschlägt!“ Sprach´s und verschwand in den Ruhestand.
Natürlich wandte ich mich an meine Gewerkschaft, den MB Bayern. Und siehe da, die Geschäftsstelle kümmerte sich, einige Monate später erhielt ich ein Schreiben mit einer Ernennungsurkunde zum „Ehrenamtlichen Richter“ am Arbeitsgericht Bamberg, Kammer Coburg.
Der Titel ist schön, beschreibt er doch genau das, was ich tue: ich beteilige mich ehrenamtlich an der Rechtsprechung in der Arbeitswelt. In der ersten Instanz habe ich einen ehrenamtlichen Kollegen, der aus der Welt der Arbeitgeber kommt (meist sind das Personalchefs irgendwelcher Unternehmen der Region), und einen hauptamtlichen Arbeitsrichter. Es ist vom Gesetzgeber gewollt, dass in erster und zweiter Instanz die Zahl der „Laien“, die der Juristen überwiegt: die ehrenamtlichen Kollegen sollen „der Wirklichkeit der Arbeitswelt“ im Gerichtsaal Geltung verschaffen.
„Je schlechter es der Wirtschaft geht, um so mehr haben die Arbeitsgerichte zu tun“, so mein „erster“ vorsitzender Richter, quasi zu Begrüßung und Einstimmung. Und in der Tat: Kündigungsschutzklagen nach Insolvenz und Betriebsübergang, Lohnfortzahlungen, kleine und große Betrügereien im Arbeitsleben, all dies kommt vor die Gerichte. Man entwickelt mit der Zeit ein gutes Gespür dafür, was in den einzelnen Branchen gerade los ist, wo Insolvenzen drohen, wo grundsolide Arbeitgeber versuchen, ihr Unternehmen über Wasser zu halten, wo miese Arbeitgeber die Beschäftigten um Lohn prellen… Ja, und manches Unternehmen, das mit miesen Tricks gearbeitet hat, war nach kurzer Zeit wieder vor Gericht, diesmal wegen Rechtsfragen rund um die Insolvenz...
Irgendwann entschied das Bundesarbeitsgericht zum Thema „Oberärzte“ (wir erinnern uns: das BAG wich vom Tariftext ab und machte die persönliche Unterstellung von weiteren Ärzten zum entscheidenden Kriterium, ob jemand Oberarzt sein kann) oder zum Thema „Freizeitausgleich nach Bereitschaftsdienst“ – und da wurde ich nachdenklich: haben „wir vom MB“ eigentlich auch beim BAG ein paar Ehrenamtliche Richter? Die Antwort des Bundesverbandes war ernüchternd: Nein, haben wir nicht. Warum: weil wir uns nicht darum gekümmert haben.
In der Tat: bisher waren die Ehrenamtlichen Richter des Bundesarbeitsgerichts immer nur von DGB-Gewerkschaften vorgeschlagen worden. Und weil „der Lücke“ die Idee gehabt hatte, versuchte der MB es mit meiner Person. Es war die Beständigkeit und die Findigkeit von Stefanie Gehrlein, Juristin beim Bundesverband, die dazu führte, dass die richtige Tür im Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefunden und der richtige Zeitpunkt (BAG-Entscheidung zur „Tarifpluralität“) gewählt werden konnte. Plötzlich hatte ich meine Ernennung zum „Ehrenamtlichen Richter am Bundesarbeitsgericht“ in Erfurt in den Händen – aus dem Hause von der Leyen.
Was gefällt mir am BAG?
- Die Kollegialität, welche die drei „hauptamtlichen“ Bundesrichter mit uns beiden „Ehrenamtlichen“ pflegen: Unsere Meinung ist gefragt, und gerade wir Vertreter der Arbeitswelt können viel dazu beitragen, dass die Entscheidungen des BAG auch der Alltagsrealität standhalten.
- Die Grundsätzlichkeit der Betrachtungsweise: Es wird keine „Sachermittlung“ des Einzelfalls mehr betrieben, sondern es geht um die grundsätzlichen Rechtsinhalte, um Allgemeingültigkeit von Prinzipien.
- Die Akzeptanz des MB als bedeutende Gewerkschaft: nur diejenigen Gewerkschaften, die in ihrer Branche relevant sind, dürfen überhaupt selbst Menschen als „Ehrenamtliche Richter“ vorschlagen.